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Soziokratie – wenn Meetings zu Begegnung werden

Samstag, 18. April 2015 – von

Soziokratie – wenn Meetings zu Begegnung werden

Das Projekt Bank für Gemeinwohl ist anders als andere Banken – auch in seiner internen Organisation. Es ist nämlich soziokratisch strukturiert. Was genau ist aber unter Soziokratie zu verstehen?

Niemand verliert, statt Macht geht es um Kompetenz und Eigenverantwortlichkeit und jede/-r kommt auf Augenhöhe zu Wort: Das sind die wesentlichen Vorteile dieses innovativen Organisationsmodells, das sich seit den 90er Jahren von Holland aus in ganz Europa verbreitet. „Die Magie des Kreises” nennt es etwa der Supervisor und Psychologe Thomas Waldhubel. Auf soziokratie.at schreibt er: 

„Ja, das ist es, danach habe ich immer gesucht, ohne es zu wissen!” So packte es mich bei der ersten Berührung mit Soziokratie. Wie oft hatte ich es in Gruppen von engagierten Idealisten erlebt, dass das Feuer der anfänglichen Begeisterung im Hick-Hack der Kämpfe erlosch. Wie oft hatte ich Workshops gestaltet, Open Space erlebt und begleitet, Zukunftskonferenzen und ähnliches moderiert mit dem schmerzlichen Wissen, dass diese Erlebnisse von selbstbestimmter Kreativität nicht dauerhaft sein werden. Und eine Gewissheit in mir bekam wieder Kraft: „Jede Stimme muss gehört werden! Das ist der Weg.”

Was lag näher, als sich mit den Projektaktiven Günter Strobl, Annemarie Schallhart, Oliver Schrader und Anna Erber über Soziokratie, deren Wert und die Bedeutung für die Genossenschaft zu unterhalten. „Mit Soziokratie arbeitet das Projekt Bank für Gemeinwohl optimal zusammen. Sie ist flexibel, unterstützt die Selbstorganisation, ist partizipativ und behandelt alle Leute gleichberechtigt und auf Augenhöhe. Das sind Werte, die wir hochhalten.“, so Annemarie Schallhart, externe Beraterin des Projekts.

Die Regeln der Soziokratie

Die Soziokratie beruht auf der partnerschaftlichen Zusammenarbeit von Führungs-kräften und Mitarbeiter/-innen. Eine Kreisstruktur zur Entscheidungsfindung ermöglicht, dass alle Beteiligten auf der Basis von Gleichwertigkeit so genannte Konsententscheidungen treffen. 

Soziokratie basiert auf 4 Regeln:

  • Das Konsentprinzip: Es darf kein schwerwiegendes Argument gegen eine Entscheidung geben. Anders als beim Konsens müssen zwar nicht alle der Entscheidung zustimmen, aber diese zumindest tolerieren. Wichtig sind moderierte Kreisrunden, in denen jede Meinung gehört wird. Außerdem werden Entscheidungen immer vorläufig getroffen: Durch das Prinzip des dynamischen Steuerns kann der Konsent zurückgezogen und das Thema erneut auf die Agenda gesetzt werden.
  • Die Kreisorganisation: Autonome Arbeitskreise, die eigenverantwortlich agieren, sind für das Erreichen der gemeinsamen Ziele verantwortlich.
  • Die Doppelbindung der Kreise: Dies bedeutet, dass jeweils zwei Personen – eine delegierte Person des niedrigeren Kreises sowie eine des nächsthöheren ­­– an beiden Kreissitzungen teilnehmen. Dadurch wird sichergestellt, dass der Informationsfluss gegeben ist und dass die Interessen der jeweiligen Kreise nicht übergangen werden.
  • Die soziokratische Wahl: Personen werden von den Kreise-Mitgliedern nach einer offenen Diskussion basierend auf Konsent gewählt.

„Die Soziokratie beansprucht für sich, dass sie die besten Eigenschaften hierarchischer Organisationen mit den besten der Basisdemokratie verbindet“, erklärt Anna Erber, ehemalige langjährige Mitarbeiterin des Projekts Bank für Gemeinwohl. Der effizienzsteigernde Aspekt von Hierarchie wird anerkannt, allerdings wird durch das Konsentprinzip und die Doppelbindungen versucht, den Machtaspekt auszuschalten. Das impliziert ein neues Führungsverständnis: weniger Macht an der Spitze, mehr Eigenverantwortung für alle Beteiligten.

Angewandte Soziokratie

Das Projekt Bank für Gemeinwohl war anfangs basisdemokratisch strukuriert. Aufreibende, emotionale Diskussionen erschwerten die Entscheidungsfindung. Ende 2012 wurde gleichzeitig mit den ersten bezahlten Projektleitern auch die Soziokratie als Organisationsmodell eingeführt. Seither haben sich Entscheidungsabläufe deutlich entspannt, wie Oliver Schrader bestätigt.

Die Organisation der Genossenschaft

Seit der Umstrukturierung bestehen vier soziokratisch organisierte Arbeitskreise, die durch Doppelbindungen mit dem Koordinierungskreis („Ko-Kreis“) als operativem Leitungsgremium verbunden sind, und ein vierteljährliches Plenum.

Die moderierten Arbeitskreis-Sitzungen

In den einzelnen Arbeitskreisen kommt der Moderation eine zentrale Rolle und große Verantwortung zu. Die Projektmitarbeiter/-innen moderieren abwechslend. Alle kommen zu Wort, Entscheidungen werden schnell getroffen. Durch die so genannte Kreismoderation erhält jede/-r reihum die Möglichkeit, sich zum jeweiligen Thema zu äußern. Dadurch „bleibt die Autonomie gewahrt und die Verbundenheit mit den anderen wird gleichzeitig gestärkt“, bekräftigt Projektunterstützer Günter Strobl: „Wenn diese Methode stimmig eingesetzt wird, ist sie wahrlich wohltuend. Auch im Rahmen des Projekts Gemeinwohlbank erfahren wir, dass Soziokratie Interesse und Lust am Experimentieren fördert.“ .  

Doch auch die Soziokratie kann unausgesprochene Konflikte und Voreingenommen-heiten nicht gänzlich verhindern. Anna Erber schlägt daher vor, gleichzeitig Ansätze der gewaltfreien Kommunikation einzuführen. Laut Günter Strobl wirke die Kreismoderation allerdings wie eine Impulskontrolle, wodurch emotionale Reaktionen entschärft werden.

Insgesamt hat die Einführung der Soziokratie im Projekt viele Vorteile gebracht:

  • Der Soziokratie wohnt kein Dogma inne. Sie schafft – in Annemarie Schallharts Worten – „Strukturen, die verändert werden können.“ So können im Konsent beispielsweise andere Entscheidungsstrukturen (wie Mehrheitsentscheidung, Konsens, autoritär) geschaffen oder auch neue Kreise etabliert werden. Aufgrund der soziokratischen Flexibilität beeinflusst die Fluktuation der Mitarbeiter/-innen den Erfolg des Projekts nicht sonderlich.
  • Durch die Kreisstruktur wird die Entscheidungsstruktur transparent.
  • Durch die Konsentmethode und die aufs Ziel hin argumentierten Meinungs-runden verbessern sich Qualität und Nachhaltigkeit von Entscheidungen. Schwerwiegende Einwände werden gehört und in einer weiteren Meinungsrunde kommentiert. Die gut strukturierte Moderation vermeidet ausschweifende Diskussionen. 
  • Die Stimmung ist gut und niemand verliert.
  • Durch die Selbstorganisation werden andere Entscheidungsebenen entlastet.

Bei vielen Vorteilen fielen meinen Gesprächspartner/-innen nur wenige Nachteile der Soziokratie ein:

  • Konsententscheidungen beanspruchen anfangs mehr Zeit. Nach der Einspiel-phase wird die Entscheidungsfindung jedoch zeiteffizienter. Durch die Fluktuation des Personals und die sich oft verändernde Zusammensetzung der Gruppen müssen jedoch die soziokratischen Prinzipien stets neu erklärt werden, was die Effizienz erschwert.
  • Große Gruppen erschweren die Entscheidungsfindung. Entscheidungsrunden sollten sich idealerweise auf 8-12 Personen beschränken.

Soziokratie in der Bank für Gemeinwohl?

Ob auch die Bank nach ihrer Gründung soziokratisch organisiert werden könnte, wurde bereits im AK Bankplanung wohlwollend diskutiert. Allgemein herrscht die Meinung, dass der Verein und die Genossenschaft von diesem Organisationsmodell sehr profitierten.